Eine grosse Portion Zürichnostalgie – Morsezeichen über Zürich von Mary Apafi

Als Winston Churchill im Münsterhof seine Rede hielt, gewann die junge Mary Apafi eine Reihe Völkerball-Spiele. Auch in den weiteren Erzählungen verbindet sich das Persönliche mit dem Weltgeschehen, was den Kern des Buches wohl ausmacht.
Mary Apafi erinnert sich an ihre Kindheit und Jugendjahre in Zürich, chronologisch, aber nicht als zusammenhängende Erzählung, sondern episodisch, in Erinnerungsbildern.
Das ist insoweit erfolgreich, da Erinnerungen genau so funktionieren. Sie kommen uns als Episoden ins Gedächtnis, ausgelöst durch einen bestimmten, oftmals nichtigen Teil innerhalb der Erinnerung. Ein Duft, ein Geräusch oder ein verwandtes Bild lösen sie aus.
Mary Apafi spielt also mit diesem uns allen vertrauten Erinnern. Beim Lesen stellt sich von Beginn an ein wohlig-warmes Gefühl ein. Wir erkennen uns in einigen Szenen vielleicht wieder oder haben ähnliche Erinnerungen von uns geliebten Menschen gehört, es liegt eine bestimmte Stimmung zwischen den Seiten. Das Ganze fühlt sich zwar weniger nach Lagerfeuer-Nostalgie an, sondern spiegelt mehr das Gefühl einer warmen Stube bei Kerzenlicht, vielleicht tobt draussen ein Sturm, Hauptsache jedoch, drinnen ist’s warm.
Erinnerungsbücher funktionieren häufig nach diesem Prinzip. Sie mahnen uns daran, die eigenen Erinnerungen nicht zu vergessen, stossen diese an und wecken die Lust am Erzählen.
Dass Apafi dies mit ihrem Buch so erfolgreich gelingt, ist trotz der Beliebtheit von Büchern über Erinnerungen beachtlich. Denn oftmals fühlen wir uns eher durch die Memoiren überaus bekannter Leute angezogen, damit wir ihnen näher sind, oder zumindest die Illusion der Nähe entseht.
Die Autorin setzt durchaus ebenso auf Nähe und Bekanntes, dabei aber eher auf die Umgebung als die Person. So lesen wir ein Stück Zeitgeschichte der 1940er- und 1950er-Jahre und persönliche Einblicke, jedoch auch ein Szenenbild Zürichs. Die Lesenden suchen darin nach eigenen Erinnerungen, vergleichen aber auch mit dem Heute. Was kenne ich noch? Was ist jetzt dort? Welche Erinnerungen habe ich persönlich mit diesem Ort? Es sind oftmals die kleinen, unscheinbaren Momente, die wohl der Erzählerin selbst nicht vordergründig wichtig erscheinen. So wurden bei mir durch die Nennung des Schuhhauses Bata sofort Erinnerungen wach.
Damit solche Bücher, die das Persönliche in den Leser*innen wecken sollen, funktionieren, braucht es also die Nähe zu Bekanntem. Weiter ist aber auch ein Schreibstil erforderlich, welcher diese oben beschriebene Stimmung des Wohlgefühls auslösen kann.
Mary Apafi gelingt das mit ihrem Schreiben. Ihr Stil ist einfach, aber eindringlich gehalten, auch wenn man ab und an über die ein oder andere Detailbetrachtung stolpern mag. Der Autorin gelingt eine gute Balance zwischen humorvollen Episoden von Kinderstreichen und neckischen Kommentaren, aber auch ernsteren Diskussionen. So sind die Beschreibungen der letzten Kriegsjahre zu Beginn des Buches besonders eindringlich. Auch das Verhältnis zu ihrem Vater, welches von Schwierigkeiten geprägt war, wird auf fast schon literarische Weise sehr behutsam, aber berührend beschrieben.
Für mich persönlich mischte sich beim Lesen das Gefühl von Vertrautem durch meinen Bezug zu Zürich und der Schweiz im Allgemeinen mit einer Neugier über eine doch anders funktionierende Lebenswelt. Manche Dinge erschienen mir selbst im Vertrauten fremd, regten mich aber zum Nachdenken an. Der Hang zur Nostalgie vergangener Tage, der sich gerade am Schluss des Buches zeigt, bietet sicherlich Gesprächsstoff.

Es ist – wie im Klappentext des Buches angedeutet – wahrlich eine Hommage. Eine Hommage an ein Zürich des Gestern, mit der Hoffnung für gute Erinnerungen an das Zürich von heute. Aber auch eine Hommage an das Erinnern und seine Bedeutung.

Das Coverbild wurde mir vom Verlag zur Verfügung gestellt.

Diese Buchbesprechung entstand in Zusammenarbeit mit der Lesestoff-Verlagsgruppe, im Besonderen dem Th. Gut Verlag. Bei Interesse an Rezensionen, bitte die Disclosure & Policy Sparte konsultieren.

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