Die Rückeroberung der Stimme

Nach der Lektüre des Buches von Leila Slimani, Der Duft der Blumen bei Nacht, in dem sie virtuos-poetisch neben vielen Dingen auch das eigene Schreiben reflektiert, erkannte ich ein Motiv in meinem Schreiben wieder:
Die Suche, das Changieren, vielleicht sogar das Kämpfen um eine Stimme und eine Sprache.
Eine Auffälligkeit in der Poetik der beiden Worte sticht mir dabei gleich zu Beginn ins Auge. Ich nutze die zwei Worte wie Synonym, weil das eine ohne das andere bei mir nicht existiert. Weil alles nur ein stummer Schrei ist ohne diese zwei Dinge. Ich ringe nach einer Sprache, um meine Stimme wahrnehmbar zu machen. Ohne eine Sprache ist die Stimme leer.
Und hier sei nicht bloss die hörbare Stimme gemeint, keinesfalls. Vielmehr zieht das auf eine poetische Stimme und Sprache ab, wie auch immer sich jene äussern mögen.

Dieses Finden und ja, dieser Kampf, denn es ist einer, das müssen wir uns wohl an dieser Stelle endgültig eingestehen, sind mehrgliedrig in ihrer Kraft und ihrem Schmerz.
Es ist ein Finden müssen der Sprache für die, die nicht mehr sind. Ein Wunsch, deren Geschichte erzählen zu können. Aber mehr noch, die eigene Erinnerung aufarbeiten zu dürfen, vielleicht sogar müssen. Die eigene Geschichte in jener der anderen zu entdecken. Die Sprache ist somit auch immer eine Frage nach der eigenen Herkunft, im Kleinen wie im Grossen.

Es lässt sich aber ebenso nicht abstreiten, dass gerade die weibliche Suche nach Stimme und Sprache in dieser Welt, in der wir leben, im Grund sogar von politischer Brisanz ist.
Gerade in so einer Zeit erfüllt es mich mit Mut und Kraft zu beobachten, das Gegenwartsstimmen durch die Sprache einen Befreiungsschlag ausüben von jeglichen Vorstellungen und Normen, was eine Frau zu sagen hat und wie sie sagen sollte.
Die Sprache als etwas Intimes und Individuelles, so ist es auch eine Rückeroberung der eigenen Sinnlichkeit, ohne von aussen sexualisiert und zum Objekt gemacht zu werden. Denn es ist eine Rückeroberung, da es genommen wurde. Der Verwehrung der Stimme ist nämlich kein selbstverschuldetes Verlieren, es ist ein aktives Stehlen. Passend dazu beschreibt Griselda Pollock im Vorwort zu ihrem Buch Old Mistresses die immerwährend perpetuierte Auslassung von Kunstkritikerinnen als „this shaping, the discoursive formation of Art History, was not just passively forgetful.“

Nicht erst seit Virginia Woolf, und mit Sicherheit noch nach ihr, liegt eine raumerobernde Komponente des Schreibens, eigentlich jeglicher kreativer Arbeit, ja vielleicht sogar jeglicher marginalisierter Existenz als Akt der Rebellion, des Überlebens, in unserem Blickwinkel.
Auch ich schreibe mich ein ins Leben, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine aktive Handlung, eine bewusste Entscheidung, auch gegen meine eigene Amnesie, die mir auferlegt wurde, um mich meinen Wert vergessen zu lassen.
Die Stimme, die eigene Sprache, sind die Schuhe, in denen man geht, in einer Welt, die besonders Frauen lieber schweigend im Gleichschritt auf denselben Wegen gehen sieht, die ihnen seit Jahrhunderten Schmerz und Verlust brachten.

Disclaimer: Es wäre wohl fatal unter diesem Thema nicht auf die aktuellen Protestbewegungen der Frauen im Iran aufmerksam zu machen, die um ihr Recht, in Freiheit und nach eigenem Willen leben zu dürfen, kämpfen. Jedoch soll hier nicht der Eindruck entstehen, es sei bloss eine Fussnote wert. Vielmehr wird hier darauf verzichtet, das Thema salopp anzusprechen und stattdessen auf die Stimmen der Frauen selbst verwiesen. Hören wir ihnen zu und be- und verstärken wir ihre Stimmen.
Zusätzlich soll darauf hingewiesen werden, dass auch andere marginalisierte Gruppen immer wieder aufs Neue um die Wahrnehmung der eigenen Stimme kämpfen und hier auch Mehrfachmarginalisierungen eine gewichtige Rolle spielen.

Leave a comment